Trauerfeier-Magazin. Gedanken und Ideen zu freien Trauer- und Abschiedsfeiern.

Magazin

An dieser Stelle teilen wir Gedanken zu den Themen Sterben, Tod, Abschied und Trauer. Und auch persönliche Erlebnisse und Erfahrungen aus Trauerfeiern, Beerdigungen und Abschiedszeremonien.

Balance-Akt...

...oder: Die Kunst des Navigierens zwischen Ehrlichkeit und Wahren der Integrität

Zwei Brüder, eine verstorbene Mutter, zwei total unterschiedliche Geschichten. Eine positive, eine negative. Ein Lebenspartner, der nochmals eine ganz andere Geschichte mit der Verstorbenen teilt. Freundinnen, Nachbarn. Alle Sichtweisen wollen berücksichtigt und gesehen werden. Es braucht Anerkennung für das Schwierige, sonst wäre es unehrlich. 

Ein feinfühliges Formulieren und Umgehen mit Verletzungen, die immer noch offen sind. Und gleichzeitig ein Wahren jener Verbindungen, die in gutem Licht standen, in denen das Schöne und Positive überwiegt.

 

Jede Medaille hat zwei Seiten

Schon im Vorgespräch war der Umgang offen, die Themen konnten beim Namen genannt werden. Es war wichtig, dass die immer noch verletzten Seiten Raum bekamen. Vielleicht mehr, als man denken würde, wenn man an die Vorbereitung für eine Abschiedsfeier denkt. „Es geht ja nicht um ihn, sondern um die Mutter“ - wäre ein möglicher Gedanke. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Nur die eine Seite der Medaille.

Wenn ein Mensch stirbt, so ist sicherlich wichtig, dass der Abschied dieser Person entspricht. Eine poetische Feier mit spirituellen Texten bei einem Pragmatiker oder auf der anderen Seite eine Feier ganz ohne Erwähnung von Gott bei einer, die zwar nicht regelmässig Gottesdienste besuchte, aber doch immer gerne in Kirchen war und zu Hause ab und zu gebetet hat: Das wäre nicht stimmig. Es muss zur Persönlichkeit, zur Spiritualität, zum gelebten Leben passen.

Aber mit und trotz dem Tod dieses Menschen müssen die Hinterbliebenen weiter leben. Und mit der Feier ebenfalls. Deshalb muss die Feier beide Seiten berücksichtigen, müssen Integrität und Würde beider Seiten gewahrt werden.

Hilfreiche Zutaten...

Es gibt hier keine einfache, exakte Rezepte für ein wohl verbauliches Gericht. Aber einige Zutaten sind doch klar: liebevolle Ehrlichkeit, Anerkennung für die verschiedenen Seiten ohne für eine Sichtweise Partei zu ergreifen, evtl. Kontaktaufnahme mit Menschen aus diesen unterschiedlichen Perspektiven, sorgfältiges Prüfen der gewählten Worte, exakte Abklärungen im Vorfeld und den Mut, die Dinge an- und abzusprechen, eine gute Selbstreflexion („Lasse ich mich einnehmen von einer Sichtweise?)...
Wieviel von welcher Zutat, das hängt von der Situation ab.

„Es war fabelhaft!“ Die Rückmeldung eines ehemaligen Nachbarn wurde begleitet von einem herzhaften Händedruck und einem ehrlichen Dank. Auch für die Söhne, den Lebenspartner, die Enkelinnen war die Feier stimmig. Das Gericht hatte ganz offensichtlich die richtige Würzmischung für alle.
Was für ein wunderbares Gefühl. Und ehrlich gesagt auch eine Erleichterung. Denn es ist jedes mal ein Balance-Akt und der Erfolg keineswegs garantiert. Der Beitrag für die Angehörigen dafür umso wertvoller, wenn das Gericht gelingt.

 

Kathrin Maag,
im September 2024

Was mich tröstet

Für Trauer gibt es kein Rezept. Nur deinen ganz eigenen, persönlichen Weg. Mal ist sie ganz laut und heftig, dann wieder ganz still und im Hintergrund. Mir hilft das Bild des Meeres. Die Wellen kommen und die Wellen gehen. Genauso empfinde ich meine Trauer und daran klammere ich mich, wenn ich in meinen Tränen zu ertrinken drohe. Und mich tröstet die Textzeile von Hermann Hesse: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."

Doch wie kann im Tod, im Verlust von einem geliebten Menschen ein Anfang sein? Und dann noch einer mit Zauber? Wenn ich jemanden verliere, ist das doch das Ende? 

Ja, es ist das Ende von dem Leben, das wir kennen. Alt Vertrautes bricht einfach weg. Vielleicht stirbt sogar die ganze Zukunft mit. Es entsteht eine Lücke und Leere, die nichts und niemand füllen wird. Und doch ist ein Verlust gleichzeitig ein Anfang von etwas Neuem. Vielleicht die Chance, sich mehr mit seinem Gefühl zu verbinden. Ganz im Hier und Jetzt zu sein. Die Trauer kommen und gehen lassen. Darauf zu vertrauen, dass wir in ein neues Leben finden ohne diesen geliebten Menschen. So erzähle ich, was mich tröstet und wie ich ganz bewusst Erinnerungen in mein Leben einbaue.

Ich besuche die Orte, die uns gemeinsam verbinden. Durch den Verlust lasse ich alte, längst vergessene Traditionen wieder aufleben. So besuche ich den Frutigmärit, wo mein Wurzeln sind. Und immer im Januar geht’s in die Belle Epoque in Kandersteg. Vielleicht hilft ein Kerzenlicht oder ein Tee? Jeder Pilz erinnert mich an mein Grosi. Vor meiner Terrasse steht ein Baum voller Vogelhäuschen, weil sie das Zwitschern so geliebt hat. Und nun telefoniere ich mit lieben Menschen, wie sie es so oft mit mir gemacht hat. Ich benutze das Geschirr von Nanny. Die Uhr von Ätti tickt in meiner Küche weiter. Ich trage Armandos Stulpen und erinnere mich an das warme Gefühl, das er uns geschenkt hat. Und ich sehe, wie in meinem Gottibueb sein Vater weiterlebt.

Und wenn mich gar nichts mehr tröstet und ich einfach traurig bin, dann gebe ich der Trauer Raum. Ich vertraue auf den Zauber des Anfangs und finde Kraft im Gedicht “Stufen”, das mir mein Grosi vor 31 Jahren zur Konfirmation geschenkt hat.

 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, 
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns, wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(Gedicht von Hermann Hesse)


Manuela Rieder, 
im Januar 2024

Gelegenheit stellvertretend Danke zu sagen

Eine Abschiedsfeier ist die Gelegenheit stellvertretend Danke zu sagen. Drei Töchter erzählen mir im Vorbereitungsgespräch aus dem Leben ihres Vaters, der nach einem langen Leben mit 96 im Altersheim gestorben ist. Er hatte seine Prinzipien und war eher streng, doch die Frauen erzählen aus der Kindheit und erinnern sich gerne an die Spaziergänge und wie ihr Vater alles reparierte, oder wie er in der Dorfmusik Flügelhorn spielte. Sie waren stolz auf ihn, wenn er mit der Musik durchs Dorf marschierte.

Nach einem Unfall pflegten sie ihn zu Hause. Jeden Tag war eine der Töchter verantwortlich. Sie kochten seine Lieblingsspeisen, wuschen seine Wäsche und putzten die Wohnung. Einige Wochen vor seinem Tod, war die Pflege zu aufwendig und er musste ins Altersheim. Für die Töchter war dies eine sehr schwere Entscheidung. Es fühlte sich an, als liessen sie ihn im Stich. Er fand das Essen dort nicht gut und vieles war einfach nicht wie zu Hause. Er mochten gar nicht mehr leben.

An der Trauerfeier im kleinen Kreis, erzählte ich einiges aus seinem Leben. Ein Bekannter des Verstorbenen spielte zwei Lieder mit der Trompete.
In meiner Rede erwähnte ich die grossartige Leistung der Töchter, die sie über all die Jahre für ihren Vater erbracht hatten, damit er zu Hause in seiner gewohnten Umgebung leben konnte. Neben den Tränen, die ich dabei sah, erreichten mich auch dankbare und erfreute Blicke der Zuhörenden.

Stellvertretend sage ich an der Abschiedsrede Danke. Dem Verstorbenen, für das was durch ihn entstanden ist und für die guten Erinnerungen, die bleiben. Den Angehörigen, für das was sie geleistet haben damit es ihrem Vater an nichts fehlt.

Rita Scheurer, Trauerrednerin

 

Bild: Rudy and Peter Skitterians

Eine freie Trauerfeier gestalten

Wie gestalte ich für einen Menschen, den ich gar nicht gekannt habe, eine Trauerfeier? – Eine Annäherung.

Am besten ist es, wenn ich die Wohnumgebung des Menschen, der verstorben ist,  sehen darf. Da kann ich mit fast all meinen Sinnen wahrnehmen. Ich sehe Bilder, die auch die Person betrachtet hat. Schweife mit meinem Blick aus dem Fenster. Was begegnet mir da? Welcher Duft steigt mir in die Nase? Die Duft-Erinnerung in mir wird dadurch angeregt und baut vielleicht schon eine Brücke zu der verstorbenen Person. Streiche ich über den Lieblingssessel, nimmt mein Tastsinn Eindrücke auf. Hat er darin der Verstorbene seine Lieblingsmusik gehört oder -sendungen gekuckt? Gibt es Texte, Literatur, die herumliegen?

Und dann werden mir im besten Fall von ein, zwei, drei Menschen, die der Verstorbenen Nahe waren, Geschichten, Anekdoten, Müsterchen erzählt. Einerseits lausche ich den Worten, andererseits bin ich offen für die Feinheiten dahinter, die Stimmung, die Atmosphäre. Meine Intuition gibt mir oft noch Fragen ein, damit die Erzählenden noch mehr Raum und Tiefe bekommen. Und ich noch tiefer in das Leben eines Menschen, den ich gar nie gesehen habe, blicken darf. Sehr intime Momente. Viel Achtsamkeit ist gefragt. Welche Frage wäre zu viel? Was will nicht gesagt werden? 

Und das Vorgespräch für die Abschiedsfeier ist ein Stück Trauerbegleitung.  Wir tauchen gemeinsam in einen See der Gefühle. Ich bin diejenige, die am Ufer sitzt und von dort aus zuschaut, den Rahmen und Halt gibt. Ich lasse Raum, um Tränen fliessen zu lassen. Ich begleite die Wut und Unbeantwortbares im Auftauchen und Wiederuntergehen. Ich biete dem Unaussprechlichen Stille an. Lache mit, wenn es stimmig ist. 

Und langsam ordnet sich in mir ein Bild an von dem verstorbenen Menschen. Ideen tauchen auf, die ich anbieten kann, um der Trauerfeier einen würdigen Rahmen zu geben. Vielleicht sind auch schon Ideen vorhanden und gewünscht. Dies wird zusammen geflochten. Die Feier nimmt Gestalt an. Zuhause dann nehme ich mir die nötige Zeit, um die Rede zu schreiben. Dabei knüpfe ich an das Wahrgenommene an. Und versuche mich irgendwie mit der verstorbenen Person zu verbinden. So vertraue ich, dass die Worte, die ich wähle die „Richtigen“ sein werden. Worte, die das Leben der Person widerspiegeln und die Hinterbliebenen die Person darin wieder erkennen. Grösste Anerkennung meiner Arbeit ist, wenn ich nach der Trauerfeier die Bemerkung höre, dass ich die Person sicher gekannt habe. 

Und bei der Abschiedsfeier selber trete ich in den Hintergrund. Es geht in keiner Sekunde um mich. Ich bin Übermittlerin/Stellvertreterin. Und doch bin ich ja in Aktion, weil ich die Leit-Person bin. Ein Widerspruch? Nein, ein  Anspruch, den ich anstrebe, wenn ich eine achtsame Trauerrednerin sein will.

 

Bettina Heiniger

Genährt – in Trauer und in Frieden

Es ist einer dieser ersten warmen Frühlingstage. Berührt und mit einem Gefühl tiefer Verbundenheit gehe ich dem Greifensee entlang, als wäre ich in Heidis Geist unterwegs. Ich wandle auf Pfaden, auf denen sie lange, lange Jahre ihres Lebens gegangen ist. Unzählige Kilometer ist sie mit ihren Walkingstöcken am Greifensee gewandert. Die Sonne taucht alles in ein leicht goldiges Licht. Mein Blick fällt auf Erlenblütenstände und kleine Erlenzäpfchen, wunderschöne Birken säumen das Seeufer. Der See schwappt mit ganz feinen Geräuschen ans Ufer. Tiefblauer Himmel über allem. Viele Leute sind unterwegs. Das wäre ein Tag gewesen, an dem Heidi sicher auch unterwegs gewesen wäre und den sie genossen hätte. Sie hätte unterwegs offene Augen gehabt für die kleinen Schönheiten am Wegrand und sich Zeit genommen, um sie zu sehen.

Dieser sonnig-frühlingshafte Spaziergang ist ein runder Abschluss für mich nach dieser berührenden, schönen Abschiedsfeier, die Heidis Wesen voll und ganz entsprochen hat. Und von der alle Anwesenden auf ihre Art genährt und in Frieden weggegangen sind. In Trauer, ja, aber auch in Stimmigkeit. Mich hat es hierhin gezogen, zum Greifensee. Um den Abschied für mich als Zeremonienleiterin rund zu machen. Ich verbinde mich noch einmal und lasse gleichzeitig los. So, dass Heidi und ihre Familie ihren Weg gehen können und dass ich meinen Weg gehen kann. Ein kurzes und intensives Wegstück geht zu Ende. Auch wenn ich mit den beiden Söhnen noch in Kontakt stehen werde – das Herzstück meiner Arbeit ist vollbracht. 

 

Ich bin hier mit einem sehr berührten Herz, einem lebendigen Herz und einer grossen Dankbarkeit für diese schöne Arbeit, die ich machen darf. Verschiedene Sätze und Satzfragmente tanzen durch meinen Geist – viele Rückmeldungen habe ich bekommen direkt nach der Abschiedsfeier: Wie schön es gewesen sei. Dass sie mir noch eine Stunde länger hätte zuhören mögen. Dass die Feier so sehr Heidi erfasst habe, als hätte ich sie ein längeres Stück auf ihrem Lebensweg begleitet. Dass es eine gute Zusammenarbeit zwischen mir und den Söhnen und den Schwestern von Heidi gewesen sei. Dass diese lebendige Feier in ihrer Bodenständigkeit auch überraschend war. Und sehr echt. 

Ich konnte gar nicht alles aufnehmen, weil ich noch so sehr in meinem Eigenen gewesen bin. Am liebsten hätte ich mir alles Wort für Wort gemerkt.

 

Und ja, so soll es sein. Ich fühle, dass ich meine Arbeit gut gemacht habe, wenn es war, als hätte ich die Verstorbene schon lange gekannt und die anwesenden Freunde und Familie mir noch lange hätten zuhören können. Wenn meine Worte die Herzen berühren, wenn danach noch lange viele Menschen zusammen stehen und Erinnerungen austauschen. Und wenn in der gemeinsamen Trauer eine Verbundenheit und sogar eine gute Stimmung sein darf. 

Danke Heidi, für diese Reise, die ich mit dir machen durfte! Sie lässt mich reicher zurück.


Kathrin Maag